Ich bin immer noch in Ecuador. Doch es ist mein letzter Tag und heute fliege ich nach Hause. Dieser Beitrag wird der vorletzte Beitrag in diesem Blog sein und der letzte, den ich in Ecuador schreibe. Doch es ist ein für mich sehr wichtiger Beitrag, in dem ich teilen möchte, was gerade aktuell in Ecuador passiert.
Ecuador ist ein Entwicklungsland und Ecuadors Wirtschaft zu einem großen Teil vom Export von Erdöl abhängig, danach kommen schon Bananen, Schrimps, Thunfisch, Kakao und Blumen. Seid der Pandemie geht es der Wirtschaft Ecuadors wesentlich schlechter und sie hat sich bisher noch nicht wirklich erholt. Die Arbeitslosenrate ist sehr hoch und damit steigt die Kriminalität.
Im „Global Peace Index“ von 2023 ist Ecuador innerhalb eines Jahres um 24 Plätze nach unten gerutscht, was vor allem daran liegt, dass die Fälle von Gewaltkriminalität und Tötungsdelikte organisierter krimineller Gruppen, die auf Drogenhandel spezialisiert sind, zunehmen. Dies gilt vor allem für die Küstenregion, allen voran für die Provinz Esmeraldas und die größte Stadt Ecuadors, Guayaquil. Doch auch in der Küstenstadt Manta, die zusammen mit Puerto Lopéz und Canoa (Orte an denen ich war und ich zu geschrieben habe) in der eher als ruhiger geltende Provinz Manabí liegt, wurde vor zwei Wochen der Bürgermeister erschossen. In diesen und noch anderen Provinzen der Küste herrscht Ausnahmezustand. Der Drogenhandel nimmt zu in Ecuador und macht vielleicht erst in Deutschland am Hamburger Hafen halt.
Was hat der Hamburger Hafen damit zu tun? Nun, falls ihr es nicht mitgekriegt habt: im Dezember letzten Jahres wurden 3,6 Tonnen Kokain aus Ecuador im Hamburger Hafen teilweise zwischen den Thunfischkonserven (wir erinnern uns: Ecuador exportiert gerne Thunfisch) gefunden. Wer weiß, was nicht gefunden wurde…
Auch im Rest von Ecuador hat die Kriminalität zugenommen, wenn auch nicht vergleichbar. In Pomasqui, wo ich lebe, erzählen mir die Menschen, dass man früher noch nachts im Dunkeln hier (nicht in Quito) noch draußen sein konnte, heute jedoch nicht mehr. Stattdessen passieren auch bei mir in der Umgebung immer mehr Raubüberfälle, von denen man mitkriegt.
Es gibt momentan wenig Hoffnung, dass sich sowohl die Wirtschaft als auch die Sicherheit des Landes schnell wieder verbessert, denn auch die politische Situation ist nicht stabil, denn Ecuador hat momentan Parlament. Der Präsident, Guillermo Lasso, hat vor ein paar Monaten das Parlament aufgelöst, da er keine Mehrheit im Parlament hatte und das Parlament ihn absetzen wollte. Nun gibt es am 20. August Neuwahlen.
Am 20. August wird jedoch nicht nur der Präsident neu gewählt, sondern es finden noch zwei weitere entscheidende Wahlen statt. Es wird nämlich darüber entschieden, ob im „Parque Yasuní“ Erdöl gefördert werden darf und ob im „Chocó Andino“ Kupfer, Gold und Silber abgebaut werden dürfen.
Bei der Entscheidung über den „Parque Yasuní und der über den „Chocó Andino“ handelt es sich um zwei unterschiedlichen Wahlen, die jeweils durch zwei unterschiedliche tausendfach unterschriebenen Petitionen zustande gekommen sind. Dennoch ist der Kernkonflikt in beiden Regionen der gleiche: der Erhalt der Natur und die Einheimischen gegen die Wirtschaftsinteressen Mächtiger.
Der „Parque Yasuní“ ist von der UNESCO als Biosphärenreservat erklärt worden und der größte Nationalpark Ecuadors. Er liegt im Amazonasregenwald ganz im Osten des Landes. Über meinen Aufenthalt dort habe ich bereits einen Beitrag veröffentlicht, auch über die Erdölförderungen ganz in der Nähe des Nationalparks. Die Biodiversität im Yasuní ist unglaublich hoch, einer der artenreichsten Orte der Welt, doch nicht nur das: der Yasuní beheimatet mehrere indigene Gruppen mit jeweils unterschiedlicher Kultur und Sprache. Zwei dieser indigenen Gruppen leben bis heute in freiwilliger Isolation. Sie sind durch die Erdölförderungen besonders bedroht. Durch die Petition zum Stopp der Erdölförderung im Yasuní, haben die Ecuadorianer nun die Wahl am 20. August mit ja für den Stopp der Erdölförderung zu stoppen oder eben mit nein.
Beim „Chocó Andino“, das ebenfalls von der UNESCO als Biosphärenreservat erklärt worden ist (übrigens genauso wie Galápagos), handelt es sich ebenfalls um einen der artenreichsten Orte der Welt. Der „Chocó Andino“ beginnt direkt bei mir um die Ecke, keine 15 Minuten mit dem Bus entfernt in Calacalí. Ich habe bereits über Mindo, Maquipucuna und den Pululahua-Krater berichtet, Orte, die Teil des „Chocó Andino“ sind. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass ich den Chocó Andino übers Jahr gesehen ganze 13 Mal besucht habe, denn keinen anderen Ort in Ecuador habe ich mehr besucht und mehr ans Herz geschlossen wie diesen, nicht nur aufgrund dessen Nähe zu meiner WG. An keinem anderen Ort in Ecuador habe ich so viele Kolibris gesehen wie hier, genauso wie bunte Vögel, Wasserfälle, Orchideen und zahlreiche andere tropische Pflanzen. Auch den Brillenbären durfte ich hier begegnen sowie Kaffee und Kakao probieren.
Im „Chocó Andino“ haben jetzt zwölf Minenprojekte die Genehmigung der Regierung erhalten, Kupfer, Gold und Silber abzubauen. Dies ist auch, soweit ich das in den ecuadorianischen Nachrichten richtig lese, rechtlich nicht mehr rückgängig zu machen. Bei der Volksabstimmung für oder gegen den Stopp des Abbaus von Metallen im „Chocó Andino“ geht es vor allem um weitere neue Minenprojekte, die verhindert werden können.
Gestern erst war ich das letzte Mal im Chocó Andino und habe dort bei Einheimischen nachgefragt, was sie abstimmen werden. Die, die ich getroffen habe, sagen deutlich, dass sie für den Stopp stimmen werden und das das auch die meisten in der Region so sehen, denn viele leben vom Ökotourismos. Dennoch meinen auch dort und woanders Leute, dass durch den Abbau neue Arbeitsplätze entstehen, und dass sich Ecuadors Wirtschaft dadurch wieder verbessert. Ich bezweifle jedoch, dass das Geld am Ende wirklich bei den Menschen ankommt und nicht doch eher bei den großen Konzernen und der korrupten Regierung.
Ecuador hat eine Fläche etwa so groß wir Großbritannien. Auf dieser Fläche ist die Artenvielfalt jedoch so hoch wie in keinem anderen Land der Welt. Ecuador hat also die größte Biodiversität pro Fläche auf der ganzen Welt. 2008 hat Ecuador als einziges Land der Welt die Natur in der Verfassung zur eigenständigen Rechtsperson erklärt. Ecuador hat meiner Meinung nach deswegen ein großes Potenzial, diese einzigartige Natur zu schützen und ich hoffe das sich die Menschen in Ecuador trotz schlechter Wirtschaftslage, hoher Arbeitslosigkeit und Kriminalität für den Erhalt der Natur Ecuadors entscheiden und andere nachhaltigere Wege finden, Arbeitsplätze zu schaffen, wie durch mehr Ökotourismus.
Ich hoffe, dass hat einen guten Einblick darüber gegeben, was gerade im Land passiert, doch jetzt muss ich noch meine restlichen Sachen zusammenpacken, denn in ein paar Stunden geht es los zum Flughafen und dann nach einem Jahr Ecuador zurück nach Deutschland…